Von den Vögeln

Wo fängt dieser Spaziergang an? Ist es ein Spaziergang? Wir besammeln uns bei der Réception des Hotels. Schlendernd werden wir zum Gottlieber Ried geführt. Von den Fassaden von Yachtgarage und Hüppenfabrik hallen die Stimmen der Spazierenden wider. Bereits öffnet sich ein Hörraum. In Formationen fliegende, laut spektakelnde Stare scheinen Teil einer Choreografie.

Am Zaun, an der Riedgrenze, wird der Spaziergang in eine promenadologische Intervention überführt. Die Gruppe verliert ihre Führung. Per Anweisung wird sie zum Schwarm. Acht digitale «Eier» werden in die gemeinsame Obhut gegeben. Die kollektive Brutpflege spinnt feine Fäden, hält den Schwarm zusammen. Wer piepst da? Schweigend treten wir in eine «Zone erhöhter Wahrnehmung». In welche Umstände geraten wir?
Der Schwarm breitet sich aus, verschmälert sich entlang des Weges. Vorwärts gehen, hinüber gehen, stehen bleiben. Vielfältige Impulse wirken auf die Bewegung ein. Wen drängt es, die mögliche Ferne auszuloten, wen, das Herz des Schwarms durch Nähe zu ergründen? Kommen wir ins Schwärmen? Wenn wir gehen, sind wir Vögel? Wenn wir stehen, werden wir Landschaft?

Was singen die Vögel? Was piepsen die Eier? Wohin ziehen wir? Aufmerksamkeit breitet sich im Dazwischen aus. Sanft irgendwie, wie Achtsamkeit. Gesänge, Geräusche begegnen Wörtern, einzeln und in Clustern. Das Anziehende vom weichen Braun des filigranen Schilfs, vom sumpfigen Weg, vom Undurchdringlichen des Gehölzes, vom Klacken der Steine am Ufer. Dramatisch das gleissende Abendgelb zwischen den Regenwolken am Horizont. Unsichtbar meist, das Gefieder.

Die Namen dieser Vögel. Wie waren sie noch? Sie dringen ins Gehör und verflüchtigen sich gleich. Die Bezeichnungen werden nicht zeichnend. Sie werden zu Lautfolgen, zu Tönen. Gegen Ende scheint eine Ordnung auf, das Alphabet. Gibt es eine Ordnung im Gezwitscher der Vögel?
Nach Z wird ein Endpunkt gesetzt. Am Weg werden wir wieder aus dem «schwärmerischen Landschaftsmodus» entlassen. Wir spazieren zurück. Mein Gedanke, lasst uns wieder mal «für die Vögel» zusammen ausschwärmen.

Marie-Anne Lerjen, lerjentours, Agentur für Gehkultur – erschienen im Tagblatt zum Hecht an der Grenze am 29. März 2014

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