landscaping (reflections)

Eine musikalisch-performative Intervention im Val Plavna von Angela Hausheer und Leo Bachmann im Sommer 2011

Der landschaftlich eindrücklichste Teil des Val Plavna ist eine immense natürliche Kiesebene hoch oben über dem Unterengadin, umgeben von mächtigen Felswänden und Bergspitzen. Gefühle von Freiheit und Weite sind prägende Erfahrungen eines jeden, der sich auf die mehrstündige Wanderung zwischen dem Val Mingèr und Tarasp begibt. Bewegung in Raum und Zeit und die körperliche Anstrengung dazu sind quasi die Grundvoraussetzungen, die alle BesucherInnen an den Ort des Geschehens mitbringen. Angela Hausheer und Leo Bachmann haben ihren spezifischen Handlungsraum präzise ausgewählt: Sie agieren dort, wo sich die Ebene nach Osten ausweitet in ein Seitental, das wiederum weit hinten kesselartig abgeschlossen ist. Zwischen diesem Talkessel und der gegenüberliegenden Felswand, im Brennpunkt sozusagen, ist räumlich und akustisch Besonderes zu erleben: Die Natur hat einen Ort geschaffen, der dem Menschen seine Selbstvergegenwärtigung und gleichzeitige Relativierung angesichts der Grösse des Raumes, in dem er sich befindet, ermöglicht. Genau diese Voraussetzungen machen sich die beiden Künstler zunutze, indem sie während ihrer Aktion die besonderen Qualitäten des Raumes, den Echoraum als Resonanzraum zum Klingen bringen, und ihn so verorten. Die zwei Akteure agieren auf je unterschiedliche Weise in der Landschaft, die eine natürlich inszenierte Bühne ist; eine Bühne, die ein Zentrum hat, gleichzeitig aber sich ins Unendliche auszudehnen scheint. Angela Hausheer stösst Stimmlaute, die in unterschiedlichsten Modulationen von Pianissimo bis Fortissimo ertönen, via Mikrophon und einen auf dem Rücken mitgetragenen Lautsprecher in den Raum. Worte, Geräusche und Schreie wechseln sich ab und verbinden sich mit den Gesten und den Gehbewegungen der Künstlerin von Stein zu Stein. Leo Bachmann benutzt sein Instrument, die Tuba als Verstärker von unterschiedlichstem Tonmaterial: Er erzeugt Geräusche, singende Klänge oder Tonballungen, die seiner eigenen Stimme und der via Instrument kanalisierten Luft aus seinem Körper entspringen. Sich voneinander weg und wieder aufeinander zu bewegend kommunizieren Angela Hausheer und Leo Bachmann untereinander, gleichzeitig mit dem Publikum, das sich ebenfalls frei auf der Ebene bewegt und mit dem mehrere Sekunden langen Echo des Landschaftsraumes. Die Felsformationen fungieren als Spiegel für jeden einzelnen Moment der dreiviertel Stunden dauernden Intervention. Die vorhandene Energie und der Resonanzraum des Plavna-Tals werden durch die performativen Handlungen aktiviert: Natur und Kultur berühren sich über das in mehrfachem Sinn physische Agieren der beiden Künstler im Landschaftsraum. Was mit dem ‚Abtasten’ des Raumes beginnt, kulminiert in den dichtesten Momenten der Aktion in einem Klangraum, in dem nicht mehr unterschieden werden kann, woher die einzelnen Laute kommen. Die Landschaft und die Handlungen der beiden Protagonisten scheinen ineinander zu verschmelzen. Der visuelle Eindruck der Landschaft wird um Dimensionen erweitert und zu einem ästhetischen Gesamterlebnis. Selten (oder nie) war mir Landschaft so gegenwärtig und präsent und ein Landschaftserlebnis so prägend wie anlässlich der Performance ‚landscaping (reflections)’ von Angela Hausheer und Leo Bachmann.

Christof Rösch, Künstlerischer Leiter von NAIRS Zentrum für Gegenwartskunst – April 2012

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