LIBERTY

7 Performances für Video, 28. Februar bis 5. März 1999, New York City


SPRECHEN UND ZEIGEN

Angela Hausheer entwickelte im Februar 1999 in New York eine Videoarbeit, mit der sie, so glaube ich, nach ihrem Engagement als Schauspielerin in Jena eine eigene künstlerische Sprache und den ihr angemessenen Ausdruck wieder erfinden und entwickeln wollte. Vor dem Hintergrund ihres „Medea Projekts“, mit dem sie vor allem die Überlagerung des kommunikativ sich Erklärenden durch das bildlich sich Zeigende untersuchen wollte, um einen eigenen Raum der Sprache und der Kenntlichmachung zu finden, entstand eine Folge von kurzen Videofilmen, die in erster Linie telefonierende Frauen zeigt, und zwar Frauen, die in Images und Kostümierungen auftreten, wie Angela Hausheer sie im Februar 1999 auf großen Werbefotos und in Leuchtkästen an New Yorker Telefonzellen entlang des Broadway vorfand: durch Oberflächen aufgeladene, schnell realisierbare, selbst aber sprachlose Symbole des Weiblichen von der Hollywood-Schönheit über das „Kindchen“ bis zur New Yorker Freiheitsstatue.

DIE TELEFONZELLE
Ob dabei in unseren Gesprächen – ich begleitete Angela Hausheer als Kameramann und Freund – der Begriff der Zelle, Telefonzelle, des Käfigs, der Isoliertheit und der Begrenztheit des Kommunizierens eine Rolle spielte, kann ich nicht erinnern, aber da wir in den Drehpausen des Öfteren in kleinen Cafés uns aufhielten, auf deren Toilette Angela dann verschwand, um sich umzukleiden und plötzlich im hellgrau-blau schimmernden Heroinenkleid, der New Yorker Freiheitsstatue anverwandelt zurück zu kehren, glaube ich doch, dass wir auch darüber sprachen. „Medea“ bedeutete für Angela Hausheer eine Auseinandersetzung mit dem Gefängnis, in dem der Körper und seine (auch mythologische) Geschichte gefangen ist im Widerstreit zu den begrifflich verschlüsselten, informationsorientierten, konventionalisierten Sprachformen, worin der gleichzeitig so symbolisch aufgeladene und banalisierte geschlechtliche, emotionale, politische Körper des Einzelnen sich selbst kaum wieder zu finden imstande ist.

EINDRUCK

Die Szene suggeriert den großen Auftritt. In einer Seitenstrasse in der Nähe des Times Square vor einem eigenartig dunkel verfließenden Hintergrund, es ist Nacht, Straßenlaternen, ein wenig Nebel, nähert sich eine Frau einer einsamen Telefonzelle. Die Frau trägt ein knappes, hochhackiges Kostüm, Raubtierjäckchen, ein kleines Schwarzes darunter, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen und das Haar unter einem Tuch, so, wie in Filmen Ende der 50er Jahren Frauen Cabrio fahren. Sie könnte eben einem nahen Nachtclub oder einem der wogend vorbeisegelnden Taxis entstiegen sein, sie könnte Mafiabraut oder Audrey Hephurn sein, sie greift zum Telefonhörer, wirft ein paar Münzen ein und wählt eine sehr lange Nummer, aber ihr Gesicht, das Lächeln, geben nicht wieder, was sie spricht und die Kamera wendet sich von ihr ab und zeigt plötzlich ein beleuchtetes Werbefoto, das eine Seitenwand der Telefonzelle fast vollständig ausfüllt. Auf dem Foto ist eine Frau zu sehen, deren äußere Erscheinung ziemlich genau der Frau gleicht, die wir eben noch telefonierend gesehen haben.

TELEFONIEREN MIT JASON
New York bildete für Angela Hausheer den Raum äußerster topologischer Entfernung zwischen Medea und Jason ab – ihre Medea befand sich immer zugleich auf der Flucht und dem Weg der Heimkehr. Nur, um verwandelt zurück zu kehren, war sie geflohen; sie genoss es, mit Jason zu „telefonieren“ aus einer ihm ganz ungeläufigen Welt, in der sie selbst aber, Medea, reizvoll, geheimnisvoll, verwandelt, sich der eigenen Weiblichkeit in den dargebotenen Oberflächen immer wieder versichernd und in Anbetracht der Verfügbarkeit von Weiblichkeit (und sei es durch die Affirmation von Symbolen) Jason ebenbürtig wurde, gar überlegen war als Hure wie Königin. Sie annektierte einfach die ihr selbst fremde Welt, die Jason ihr als bösen Charakter angedichtet hatte und machte ihn rasend, wütend, einsam, flirtete mit ihm und wies ihn von sich als sie wurde, was Jason ihr unterstellte. Sie beherrschte das und gönnte sich einen täglichen Rapport übers Telefon, um ihn zu ärgern. Freilich, dadurch machte sich ihre Medea auch gleich wieder abhängig von ihm. Aber es ging ihr nicht um ein Ende (das wäre billiger zu haben gewesen); es ging ihr in all den Telefonaten mit dem Mann Jason um ihre eigene Stimme, die er nun, entfernt, entrückt, vereinsamt hören sollte, mehr um eine Eroberung der eigenen Stimme.

DER BROADWAY
Wir begannen zunächst damit, den Broadway hinauf und hinunter zu wandern, liefen links und rechts in die Seitenstraßen hinein und fanden uns wieder in der nächsten auf den Broadway führenden Straße. Das taten wir bis zur Mitte der Nacht. Wir schliefen in einem winzigen Raum, dass wir mit einem sehr großen Schlagzeug teilten. Wir erwachten sehr früh am Morgen und durchstöberten die Second Hand Shops und fanden das Gesuchte, Kostüme, Accessoires. Wir wärmten uns in Coffee Shops auf und liefen dann hinaus in die Straße, die Telefonzelle, die Kamera an, das Telefonat, die Menschen, die uns beobachteten, für verrückt halten mussten, in Sommerkleidern zu gehen. Meine Arbeit bestand darin, Medeas Telefonate mit Jason, dem Mann, dem Gegenüber, dem Liebhaber zu dokumentieren und so die Symbole der Selbstbehauptung und Übertretung Medeas fest zu halten. Die junge Frau war nichts als Kühle und die Stadt, New York, erschien mir tatsächlich wie eine Welt der absoluten Idee von sich selbst, des Aufbegehrens gegen das Mögliche und die Maßgaben der Abhängigkeit. Das Barocke der Bekleidung wirkte auf mich wie eine Notwendigkeit der Selbstbehauptung, ich habe die Frau nicht verfolgt, weiß nicht mehr als das Beschriebene, aber in diesem Moment unserer Arbeit, meiner und Angelas, erschien sie mir wie eine Verbündete.

FILM NOIR
Wir hatten in einem Café über die Selbstbehauptung gesprochen und ich weiß nicht, ob Angela das Folgende noch erinnert: Die Tür des Cafés öffnete sich und eine junge, schlanke Frau trat hinein. Es war kein Auftritt und doch erschien es mir so. Die Augen zusammen gekniffen, befanden wir uns plötzlich in einen Film Noir aus den Vierzigern. Die junge Frau legte ihren lindgrünen Mantel ab und behielt ihre Kopfbedeckung auf, einen Hut der vierziger Jahre, vergleichbar Männerhüten, eine hochgesteckte Frisur, ein durchgängig gestricktes schmales Kleid in braun, eine Etui-Tasche, aus der sie eine Zigarette entnahm und auf eine elfenbeinerne Spitze steckte; sie rauchte und trank am Fenster des Lokals hinausblickend einen schwarzen Kaffee. Sie schwieg, ich war wie gebannt. Sie war dieses Wesen, Medea wie ich sie damals sah, die unabhängige, gleichsam verlorene und anverwandelte Frau, deren Ausdruck alles schon Gewesene war, eine Einsamkeit, eine Schönheit, vergleichbar dieser Stadt, New York. Nirgendwo, auf keinem der Werbeplakate, in keinem der Leuchtkästen hatte ich so eine Frau gesehen. Warum nur?

WEST-OST
New York ist der Osten der USA. Der letzte Osten Europas liegt in den Steppen und Verschüttungen Vorderasiens. Man gräbt dort und findet Skelette von Frauen, die auf ihrer Haut Tätowierungen tragen, Geschichten von Völkern, die sich auf der Haut von Frauenkörpern überliefert haben, Zauberinnen, Königinnen, Vorgesetzten. Ein Gemisch aus Zeichen und Texten. Angela Hausheers „Medea Projekt“ hat es von Anfang auf einen Zuwachs des Vermögens der solchen Verbindungen angelegt. Dafür hat sie sich in den Clash von Text- und Bildtraditionen begeben und, der Seriosität eines solchen Unternehmens willen, begeben müssen. Die Tradition des Geschichten Erzählens und eine Entwicklung des Sprachlichen, die ich eher im Osten sehen würde und eine Tradition der Icons, der Images, des Bildlichen, die ich eher im Westen sehen würde, verbinden sich hier, schließen sich nicht aus, bemerken sich in ihrer Unterschiedlichkeit, die klein, also nicht unverbindbar, ist. Es geht darum, sich im Eigenen und der eigenen Fremdheit zu erkennen zu geben, nicht, sich zu verschweigen, hinter dem Berg zu halten.

LA MARIÉE ÉTAIT EN NOIR
Truffauts Film „Die Braut trug schwarz“ mit Jeanne Moreau von 1968 beschreibt den Rachefeldzug einer an ihrem „weißen“ Hochzeitstag zur Witwe gemachten Braut. Angela Hausheers „Medea Projekt“ beschreibt genau diesen Kampf der Zurückeroberung des Eigentlichen.

Text und Fotos: Janek Müller, Autor/Regisseur