Zur Eröffnung am 8. Dezember 2022 

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Masken und Garderoben im Theater sind geheimnisvolle Orte, eine Mischung aus Haar- und Kosmetikstudio, ein Labor der Schönheit wie der Gruseligkeit, der Verwandlung und Verzauberung, die aber auch Beichtstube oder Party-Location sein können. In diesen Räumen im Theater erhalten die gleich auf die Bühne Tretenden eine Art katalysierendes Mittelchen zur Verstärkung dessen, was sie auf der Bühne sein wollen oder sollen, Alte werden zu Jungen, Stille zu Schrillen, Müde zu Munteren. Man schaut noch einmal in den Spiegel, meistens unterbrochen dann von einem ruhigen wie dringlichen Ruf: Noch 5 Minuten bis zum Vorstellungsbeginn, Frau Hausheer, bitte zum Auftritt! Letzter Blick in den Spiegel „Sitzt die Maske?“ „Los geht’s …“ Die „Maske“ – genau, was ihr Name ist – hier bekommt man eine Maske verpasst und hier – nach der Vorstellung – schminkt man sich wieder ab und ist, ja was? Wieder Frau Hausheer? Man selbst oder eine Person, die man jetzt wieder selbst ist. – Ich hätte Dich unter der Maske beinahe gar nicht erkannt …

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Angela Hausheer hat für ihre Installation, die aus zwei Filmen besteht, einen dieser Räume im Theaterhaus Jena als Ort gewählt und bringt sie im heute im früher „Malsaal“ genannten Raum zur Ansicht. Sie macht aus der kleinen Bühne im Zwischendeck dieses Theaterschiffchens den Raum der „Maske“, der sich wenige Luftmeter davon befindet und damit diesen Ort, die „Maske“ zur Bühne, es ist sehr verworren …

Zwei Filme sind zu besichtigen und ehe wir woanders hinschauen, also auf diejenigen beiden Personen, die von sich als Schauspielerin sprechen, die sie, wie sie sagen, nicht waren und nicht sind, und die voneinander sprechen, als wären es gar nicht sie, sondern nochmal andere – bevor wir da hinschauen, schauen wir uns um. Blumensträuße, nun ja, schon zwei sehr unterschiedliche, eine leere Colaflasche (die nicht – wie es sich gehört – nach einer Pfandflasche aussieht), eine Schachtel Zigaretten, Gauloise, die blauen (die nicht – wie es sich gehört – nach denen ohne Zusätze aussehen), Streichhölzer, Aschenbecher – ich weiß nicht genau, eine Packung Hustensaft. Im anderen Film statt Cola eine Wasserflasche zum Selbstbefüllen, statt Aschenbecher nun ein Laptop an der gleichen Position.

Noch nie (kleiner Zusatz) ist mir aufgefallen, dass der Laptop in unserer heutigen Welt den Aschenbecher ersetzt hat, aber die gestische Vehemenz, mit der die Frau in dem einen Film in den Aschenbecher „abascht“ (wie man, glaube ich, sagen kann), hat doch eine Nähe zu dem, wie man heutzutage gestisch vehement in die Tastatur tippt, wenn es vehement wird. Und mir als Raucher ist es natürlich auch schon allzu oft passiert, dass ich beim Schreiben den Laptop mit dem neben mir stehenden Aschenbecher „verwechselt“ habe … oder beim Schreiben die Zeit ach je zu knapp wurde, die Asche der Zigarette zwischen den Fingern pünktlich vor dem Absturz in die Tastatur in den Aschenbecher zu befördern.

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Im Hintergrund sehen wir eine irritierend seltsam kaum geöffnete oder nur nachlässig geschlossene Schranktür, jedenfalls als würde sich darin jemand verstecken, oder etwas, das gleich hervorlugt wie ein Clown, so einer, der in Horrorfilmen aus dem Schrank springt oder aus einem Loch im Boden. Das alles auch im Spiegel und es ist sicher die Spiegelei, das Spiegeln und Selbstbespiegeln, das Doppeltwerden von allem, in dem das Doppelte aber nicht zweimal das Gleiche ist, eine Sache, die wir beim Anschauen der Installation bemerken und die etwas macht mit unserem Verständnis von dem, was wir sehen.

Noch irritierender und wie in einem Bilderrätsel – was gehört hier nicht ins Bild – ein Büroartikel, ein Locher, so ein Büroding, so ein bürokratisches Monsterchen, mit dem man Akten für ihr totes Leben in einem Aktenordner vorbereitet. Darauf kommen wir noch.

Auch im zweiten, im anderen Film, gibt es eine Schranktür, die Vorrichtung für ein Schloss hängt etwas schief ins Bild, ein Schloss gibt’s aber nicht … Und: etwas muss mit den Blumen sein, denn auch im zweiten oder dem anderen Film, spielt ein Blumenstrauß mit, ein aufmerksam von einer Dame zu Beginn liebevoll und bedachtsam in Form gebrachter Frühlingsstrauß, der auch am Ende noch lange ins Bild blüht, Kirschblüten darin, würde ich sagen, ach Vergänglichkeit. Trauerweide. Das Vergehen hat der erste Strauß, der sich links ins Bild beugt, schon hinter sich, die Vergänglichkeit, eine zarte weiße Freesie beugt sich liebevoll über eine verwelkte Rose, ach Blumensymbolik, Stillleben, Bedeutung. Ein Sträußchen zur Premiere, zum Toi Toi Toi vor dem Auftritt, eines dieser schrulligen liebenswerten Rituale am Theater, wie es viele gibt.

Angela Hausheer zeigt (neben anderem) in ihrer Installation zwei Filme, von denen der eine in diesem Sinne nicht durch sie selbst entstanden ist, sondern mit ihr, der Künstlerin als Interviewte zeigend in einem Film, einer Reportage (wir wollen uns mit der genauen Bezeichnung nicht aufhalten), die 1995 entstanden ist. Aber Vorsicht. Wer genau ist die hier antwortgebende Person, spielt sie etwas oder ist sie so? Falls ja, aber welche Rolle spielt das, spielt sie sehr gut, obwohl sie die ganze Zeit sagt, dass genau das ihr viel schwerer fiele als anderen?

Der andere Film, 2021 entstanden, ein Interviewfilm mit und von Jürgen Salzmann als im Bild unsichtbar bleibender Fragesteller und Kameramann, zeigt die Künstlerin bei der Herstellung einer Situation, die der von 1995 äußerlich ähnelt, auch die Kameraperspektive ist gleich gewählt, und in der nun die Künstlerin Platz nimmt wie die Person 1995 …. wovon die beiden Personen umgeben sind, haben wir ja schon beobachtet, es unterscheidet sich, ist aber auch nicht völlig verschieden, man kann aber wohl die Halskette als ein sicheres Indiz nehmen, dass es sich bei den beiden Personen und ihren Spiegelungen um ein und dieselbe Person handelt, die eine Biografie hat, dass sie beide also durch ein gemeinsam verbrachtes Leben eigentlich eine einzige Person sind. 

Aber mit gefällt es besser, von zwei Personen zu sprechen. Denn das öffnet den Raum dafür, dass die eine, die vielleicht heutigere, nicht bloß diejenige ist, die sie gestern einmal war. Das bringt ein anderes Zeitverständnis ins Spiel, und auch ins Spielerische, das nicht nach dem Prinzip verfährt von Früher, Heute und in Zukunft, sondern eher ein dialogisches Verständnis von Zeit öffnet. In diesem Verständnis geraten die Dinge etwas durcheinander …

Als ich selbst als Regieassistent zum Theaterhaus kam, 1995, war der Mythos schon geboren, der das Theaterhaus, wie ich glaube, bis heute umgibt. Und den zu bejahen, indem man den Mythos dreht und wendet und sich selbst auch, und indem man ihn erzählt und anreichert, seither allen hier Tätigen als beständige Aufgabe aufgegeben scheint. Was waren das für Begriffe, in denen wir sprachen: Modell, Mitbestimmung, Kollektiv, Apparat – in solchen Begriffen aus der Moderne dachten wir damals oder vielleicht dachten diese Begriffe manchmal eher uns, als wir sie. Es waren diese hochernsthaften Begriffe, in die hinein jeder und jede Ahnung und Verständnis von Bedeutung gab und auch sich selbst mit Haut und Haaren darin einhüllte wie in eine Rüstung. Oft eine mühsame Verkleidung, als wären die Begriffe unlösbare Rätsel.

Man merkt noch heute, wie ich finde, dass sie, die Begriffe, einen leicht aus der Kurve tragen können. Seltsam, sie klingen irgendwie wie nach Gewerkschaft oder, um es etwas dekorativer zu sagen, wie aus einem Handbuch der Revolutionäre einer ganz anderen Zeit. Es schien jedenfalls nicht ganz leicht zu sein, sich selbst in sie hinein zu drücken, zu drängeln oder zu zwängen in das Passepartout dieser schwer zum Leben zu bringenden Ungetüme, die des Nachts über die Flure geistern oder sich vielleicht im Schrank verstecken, die ein bisschen nach Papier klingen, dass es einem trocken wird im Mund beim Sprechen, und die man dann aber – wir sprachen schon von dem Büroutensil auf dem Tisch – mit diesem skurrilen Locher fangen, durchlöchern und abheften muss. Ich musste jedenfalls daran denken, als ich das stille Requisit in diesem Film entdeckte.

Heute geistern andere Begriffe durch die Flure und sitzen in den Schränken und Köpfen – Prozesse, Strukturen, Beteiligungen, Systeme – und machen uns das Leben schwer, be- und entgeistern und machen es uns unbequem. Aber ich möchte nicht falsch verstanden werden: Es gibt ja gar nichts anderes und aktuell noch viel weniger die Möglichkeit, als dass wir uns versuchen zusammenzuraufen, bewegen zu lassen, und zwar aufeinander zu und, dass wir nach so etwas suchen, dass man das Gemeinsame, das Gemeinschaftliche nennen kann.

Ich selbst bin nur bei solchen großen Begriffen zaghaft und vorsichtig geworden, denn die Begriffe neigen, weil jeder und jede in ihnen anderes zu entdecken glaubt und nach meiner Erfahrung dazu, eine Art von selbstreferentiellen Ungetümen, um sich selbst kreisende Spindelformen zu bilden, die die Bewegung und das Bewegtsein zumindest nicht erleichtern, da man ihnen immer nur ausweichen muss, damit sie sich weiterdrehen. Die Installation von Angela Hausheer lässt mich deshalb darüber noch einmal intensiver nachdenken, dass wir an Praktiken, an Praxen in Theater, Kunst und Leben tätig werden müssen, aus denen sich dann vielleicht erst noch gut und gerne die Begriffe bilden werden, mit denen wir unsere Arbeit lenken und von denen wir uns leiten lassen. Damit die Begriffe uns mit Leben füllen und wir nicht beständig sie.

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Für mich, liebe Angela, sind, wie Du weißt, deine situativen, oft performativen Forschungen danach, wie aus etwas, das sein könnte, eine Situation wird, die ist, und die etwas in sich trägt, immer von einer besonderen Sensibilität gerade für solche Schichten in Situationen zusammengehalten, dass etwas scheinbar weit auseinander Liegendes (das ist in Deiner Installation die biografische Zeit) viel verwobener sein kann, als man denkt. Und, dass in einer Praxis der Sensibilität die Vergänglichkeit und Vergeblichkeiten, mit denen man sich ja immer völlig unnütz ins Leben wirft und sich an ihnen abarbeitet, viel weniger die Hauptrolle spielen.

So bleibt für mich in dieser Installation am Ende gar nicht das Schmerzvolle, das Berührte, das Enttäuschte oder Angefasste der biografischen Erfahrung als das, was mich bewegt. Es ist eine – vielleicht nur in der Kunst mögliche – Begegnung in Deiner Installation: Von zwei Personen, die eine Schauspielerin waren.

Janek Müller, freier Dramaturg und Kurator

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